Kapitel 04
Die politische Geschichte
Von Birgitta Weber
Gersbach als selbständige Verwaltungseinheit bestand nur knapp 40 Jahre – vom 1. April 1934 bis 21. April 1972: Vier Jahrzehnte, beginnend in einem Abschnitt der Geschichte, der geprägt war von der menschenverachtenden Macht der Nationalsozialisten, vier Jahrzehnte, die aber auch den tatkräftigen Wiederaufbau, die freiheitlich-demokratische Entwicklung, die erneute Selbstverwaltung nach der Landesverfassung für Rheinland-Pfalz und dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beinhalten, vier Jahrzehnte, in denen sich ein letzter Strukturwandel vollzogen hat durch die „Verwaltungsvereinfachung“ 1972, vier Jahrzehnte, in denen die kommunale Verwaltung und ihre Aufgaben ständigem Wechsel unterworfen waren.
Die Regierung der Pfalz, Kammer des Innern, in Speyer bestimmte mit ihrer Entschließung “No. b 7156” vom 9. Dezember 1933: „Die Auflösung der Bürgermeisterei Winzeln-Gersbach erfolgt zum 31. März 1934“. Dies führte zur Einrichtung einer eigenen Bürgermeisterei für Gersbach am 1. April 1934. Landwirt Julius Weber übernahm, wie bereits im Gemeindeverband, die Führung der Gemeinde. Er hatte kein leichtes Amt in einer Zeit, in der bereits die Auswirkungen des Nationalsozialismus deutlich zu spüren waren. Dies zeigt auch die Hauptsatzung für die Gemeinde Gersbach vom 28. Juni 1935: „Auf Grund des § 3 Abs. 2 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. 1. 1935 (RGBl. I S. 49) wird nach Beratung mit den Gemeinderäten und mit Zustimmung des Beauftragen der NSDAP. folgende Hauptsatzung erlassen: § 1. Dem Bürgermeister stehen zwei Beigeordnete zur Seite. § 2. Die Zahl der Gemeinderäte beträgt sechs…“
Als die “Partei” die Verwaltung kontrollierte
Die Selbstverwaltung der Gemeinden, geregelt durch die bayerische Bezirksordnung für die Pfalz von 1927, fiel mehr und mehr der alles umfassenden Beherrschung und Kontrolle durch den Staat, vertreten durch die NSDAP.-Parteifunktionäre, zum Opfer. Der Bürgermeister spielte eigentlich eine untergeordnete Rolle. Bei allen Entscheidungen sprach „die Partei“ ein Wort mit. Nichts ging ohne sie. Mit der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 wurde bisheriges Recht außer Kraft gesetzt. In den Gesetzverordnungsblättern von 1935, Paragraph 33, deutsche Gemeindeordnung, ist klar definiert: „…Die NSDAP. ist die den Staat tragende Partei…1. Ausschlaggebend für die Sicherung des Einklangs der Gemeindeverwaltung mit der Partei ist die Besetzung der Stellen der leitenden Gemeindebeamten mit Persönlichkeiten, die unbedingte Gewähr dafür bieten, daß sie das ihnen übertragene Amt in steter Ausrichtung auf die politischen Ziele der NSDAP. zu führen gewillt und befähigt sind…“
Auch die Gersbacher Verwaltung war durchdrungen von Parteigenossen, die, “von oben“ gesteuert, alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens überwachten. Gemeinderatsprotokolle aus den Anfangsjahren liegen leider nicht vor, so daß man sich auf die wenigen vorhandenen Dokumente beziehen muß. Sehr vielfältig waren nach wie vor die Aufgaben der Gemeinde: Der Bürgermeister war auch Standesbeamter, der Gemeindediener hatte unter bestimmten Voraussetzungen Polizeigewalt, die Gemeinde war verantwortlich für den Einzug von Steuern, die Erhebung von Gebühren für die Versorgungsbetriebe und dergleichen mehr. Der Haushalt im ersten Jahr der Selbständigkeit schloss übrigens mit einem Plus von 2.455,27 Reichsmark bei Einnahmen von 34.011,50 Reichsmark und Ausgaben von 31.556,13 Reichsmark ab. Öffentliche Bekanntmachungen wurden zu dieser Zeit durch den Gemeindediener „ausgeschellt“.
Bürgermeister Weber erfüllte die Kriterien und Erwartungen der Partei und ihres örtlichen Stellvertreters, dem ersten Beigeordneten Friedrich Hildenbrand, nicht zu deren Zufriedenheit. So weigerte Weber sich, „die Kosten der durch diesen erstellten Judenschilder auf die Gemeindekasse zu übernehmen“, sondern forderte vielmehr die Entfernung der Schilder. Ferner kam er der Aufforderung, „verschiedene Ortsbürger zur Sterilisation zu melden“, nicht nach. Schließlich verkaufte er sogar eine Kuh aus seinem landwirtschaftlichen Betrieb an einen Juden. All dies brachte ihm zwei Parteigerichtsverfahren ein, worauf er sein Amt „wegen andauernder Auseinandersetzungen mit dem Pol. Leiter der Gemeinde Gersbach und dauernder Anfeindungen von derselben Seite…“ am 2. Mai 1936 zur Verfügung stellte und seinen Austritt aus der Partei erklärte. Mit der vorläufigen Führung der Geschäfte beauftragte das Bezirksamt Pirmasens Friedrich Hildenbrand. Richard Ziliox als erster und Jakob Theiß als zweiter Beigeordneter vervollständigten das Dreiergremium an der Gemeindespitze.
Frühzeitig bekamen die Gersbacher auch die Begleiterscheinungen des nahenden Krieges zu spüren. Seit 1937 waren ständig Wehrmachtsoldaten im Ort einquartiert, hinzu kamen die Insassen der Reichsarbeitsdienstlager auf dem Sportgelände und an der Wehrmachtstraße. So hatte Gersbach „inklusive der Einöden Eichelsbachermühle und Apfelsdelle“ am 17. Mai 1939 eine Einwohnerzahl von 837 zuzüglich 397 Westwallarbeitern. Am Matzenberg und an der Wehrmachtstraße richtete die Gemeinde 1940/41 Kriegsgefangenenlager ein.
Am 1. September 1939 hatte schließlich die Wehrmacht das gesamte Dorf “beschlagnahmt”. Gersbach, als grenznaher Ort in der „Roten Zone“ gelegen, wurde fast komplett evakuiert. Zurück blieben nur die Funktionäre der Partei und einige Getreue. Zeitweise waren bis zu 3000 Soldaten in der Gemeinde stationiert.
Nach der Rückkehr in die Heimat (Stichtag für die „Beendigung der Wiederbesiedlung freigemachter Gemeinden im Westen“ war laut “Ministerial-Blatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern” der 1. September 1940) sahen sich die Bürger vielfach chaotischen Zuständen gegenüber, was den Bürgermeister veranlaßte, beim
Reichskommissar für die Saarpfalz Antrag auf Aufnahme in den Wiederaufbauplan zu stellen. In einer Denkschrift vom 18. September 1940 sind die Forderungen für die Gemeinde aufgelistet. Trotz Elend, Not und Chaos schien die alles beherrschende Organisation der NSDAP. auch lange Zeit in den Kriegsjahren zu funktionieren. Das gesamte öffentliche und private Leben war zentral gesteuert, die Bürger waren einer alles umfassenden Kontrolle durch die Partei und ihre örtlichen Vertreter ausgesetzt.
Nach dem Einmarsch der alliierten Truppen am 21. März 1945 wurde Georg Burkhardt von der amerikanischen Militärregierung zum kommissarischen Bürgermeister für die ersten Monate ernannt. Es begann die Zeit der Neuordnung und Neuorientierung. „Entnazifizierung“ war das erste Ziel: Alle führenden Parteigenossen und Funktionäre, ihrer Ämter enthoben, mußten sich einer Untersuchungskommission stellen und wurden zumeist in Internierungslager überstellt. Zum Zwecke der „politischen Reinigung“ waren Personaleinstellungen ohne zustimmenden Bescheid der „Zentralen Säuberungskommission“ strengstens untersagt.
Die ersten freien Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg
Am 2. November 1945 übertrug man die Führung der Gemeinde wieder auf Julius Weber, im März 1946 schließlich auf Christian Müller. Diese drei Männer, Burkhardt, Weber und Müller, führten die Gemeinde über die erste schlimme Zeit hinweg. In relativ kurzer Zeit entstand wieder eine funktionierende Gemeindeverwaltung, mit vielen Hemmnissen und Problemen zwar, aber auch mit viel Optimismus und Tatkraft. Dennoch sollten noch lange Zeit Elend und Armut das Leben bestimmen. Alle Dinge des täglichen Lebens waren Mangelware und über die Gemeinde nur auf Bezugsscheine erhältlich. Unter der französischen Besatzungsmacht hatte zunächst die Sicherstellung der Ernährung Vorrang. Die Gemeinde war verantwortlich für die Ausgabe der Lebensmittelkarten an die 578 Einwohner in 177 Haushalten.
Die ersten drei Jahre waren für die Gemeindeverwaltung bestimmt von Erhebungen, Nachforschungen, Statistiken… Hatten die Jahre zuvor die Nationalsozialisten die Bestimmungsgewalt, so war man jetzt von den Entscheidungen der Militärregierung abhängig und verpflichtet, deren Anordnungen nachzukommen. Der Gemeinde wurde beispielsweise zur Auflage gemacht, die Überwachung des Munitionslagers zu koordinieren und Arbeitstrupps zu Aufräumarbeiten aufzustellen.
Am 14. November 1948 fanden die ersten Gemeinderatswahlen nach dem Gemeindegesetz von Rheinland-Pfalz statt. Allerdings hatte es schon am 15. September 1946 die ersten freien Gemeindewahlen nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft gegeben, bei denen in Gersbach 233 Stimmen auf die SPD und 163 Stimmen auf die neugegründete CDU entfallen waren. Nachdem die CDU 1948 ihren Wahlvorschlag in letzter Minute zurückgezogen hatte und somit nur noch die SPD-Liste vorlag, fand in Gersbach eine Mehrheitswahl statt: Christian Müller wurde erneut Bürgermeister, Gustav Rothhaar erster Beigeordneter und Heinrich Däther zweiter Beigeordneter. Weiter gehörten dem Gemeinderat Andreas Gruber, Georg Clauer, Adolf Lehner, Hugo Sprau, Gustav Dorst, Otto Rothhaar, Friedrich Jeckel, Alfred Müller, Karl Franzreb und Adam Knecht an. Zunächst noch unter der Aufsicht der Militärregierung stehend, konnte der Gemeinderat seine Arbeit aufnehmen. Große Aufgaben standen bevor: Es galt den Wiederaufbau der Gemeinde und die Neuordnung der Verwaltung voranzutreiben.
Es gelang relativ schnell, den Ort wieder zum „normalen“ Leben zurückzuführen. Investiert hat man in Neubaugebiete, die Verbesserung der Stromversorgung, Schaffung von Wohnraum. Alle Belange der kommunalen Verwaltung waren auf das Bürgermeisteramt konzentriert: Standesamt, Fundbüro, Schulverwaltung, Meldekontrolle der Arbeitslosen, Feuerwehr, Fürsorge, Bauaufsicht, um nur einiges zu nennen. Aber auch Termine wie Versammlungen von Vereinen, Versteigerungen der Forstbehörde, Mitteilungen der Gaststätten und Gewerbebetriebe wurden durch die Gemeinde „bekanntgemacht“.
Es wurden regelmäßig Sitzungen abgehalten, über die allerdings zum jetzigen Zeitpunkt keine Protokolle vorliegen. Lediglich Auszüge aus Niederschriften belegen einige Entscheidungen und Projekte in den fünfziger Jahren: 1952 Instandsetzung und Kanalisation der Windsberger Straße, 1953 Erstellung eines Baulinienplanes für Ring-, Matzenberg-, Feld-, Tal- und Pirmasenser Straße (Teilstück), 1954 Anlegung eines Schuttabladeplatzes in der Windsberger Straße und 1955 Instandsetzung und Verlängerung der Schulstraße. Außerdem bekam die Gemeinde die Genehmigung, ein Ortswappen zu führen: Das Wappen zeigt auf goldenem Untergrund einen roten Querbach, der von einem schwarzen Stiefel mit rotem Aufschlag überdeckt ist.
Christian Müller wurde auch nach der Gemeinderatswahl am 11. November 1956 wieder Bürgermeister und blieb dies bis zum Jahr 1960. Während seiner Amtszeit wurde enorme Aufbauarbeit geleistet. Wegen seiner langjährigen Verdienste und seines uner-
müdlichen Einsatzes verlieh ihm sein Nachfolger Hugo Sprau am 10. Juni 1961 die Ehrenbürgerwürde. Eine weitere Ehrung widerfuhr ihm nach der Eingemeindung 1972: Im Zuge der Straßenumbenennung wurde aus der „Müller“- die „Christian-Müller-Straße“.
Bis 1964 leitete nun Hugo Sprau die Geschicke der Gemeinde. Die Wahl am 25. Oktober 1964 brachte aber erneut einen Wechsel: Armin Bähr von der gleichnamigen Wählergruppe übernahm den Bürgermeisterposten. Als Verwaltungsfachmann, zusammen mit einem verhältnismäßig jungen „Team“, gelang es ihm, die Aufwärtsentwicklung des Ortes weiter positiv zu beeinflussen. In seine Amtszeit fallen unter anderem die Erschließung weiterer Neubaugebiete, die Anlage des neuen Friedhofes, der Neubau einer Leichenhalle und der Bau des Kindergartens, aber auch die kommunale Neugliederung.
Das Ende der selbständigen Gemeinde Gersbach
Bereits 1967 war die Rede von der Reform „zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden“. Bis es so weit war, sollten allerdings noch fünf Jahre vergehen. Nach langwierigen Verhandlungen wurde schließlich der „Auseinandersetzungsvertrag zwischen der Stadtgemeinde Pirmasens und der Gemeinde Gersbach“ am 10. April 1972 unterzeichnet:
„§ 1 Eingliederung und Name
(1) Aufgrund § 4 des 14. Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung im Lande Rheinland-Pfalz vom 1. 3. 1972 (GVBl. S. 127) wird die Gemeinde Gersbach mit Wirkung vom 22. 4. 1972 aufgelöst und in das Gebiet der Stadt Pirmasens eingegliedert“.
20 Paragraphen erläutern die Rechte und Pflichten beider Vertragspartner, hier ein Auszug:
„§ 8 Investitionsmaßnahme
(1) Die Stadt Pirmasens verpflichtet sich, die haushaltsrechtlich gesicherten und bereits begonnenen Baumaßnahmen der Gemeinde Gersbach fortzusetzen und ordnungsgemäß abzuschließen, soweit sie nicht der Gesamtentwicklung der Stadt Pirmasens zuwiderlaufen.
(2) Die Stadt verpflichtet sich weiterhin, den Ortsteil Gersbach künftig so zu fördern, daß die Weiterentwicklung dieses Gebietes gewährleistet bleibt. Sie wird insbesondere bis zum 31. 12. 1986 einen Betrag von mindestens DM 3,5 Mio. im Ortsteil investieren.“
Gersbach erhielt einen Ortsbeirat, der an die Stelle des bisherigen Gemeinderats tritt. Er besteht aus neun Mitgliedern. Durch die Neustrukturierung ergibt sich eine gravierende Veränderung: Die gewählten Gemeindevertreter haben keine Entscheidungsbefugnis, sondern nur noch beratende und empfehlende Funktion, wie in der Deutschen Gemeindeordnung nachzulesen ist:
„§ 75 – Ortsbeirat
(1) Der Ortsbeirat hat die Belange des Ortsbezirks in der Gemeinde zu wahren und die Gemeindeorgane durch Beratung, Anregung und Mit-gestaltung zu unterstützen.
(2) Der Ortsbeirat ist zu allen wichtigen Fragen, die den Ortsbezirk berühren, vor der Beschlußfassung des Gemeinderats zu hören. …“
Entscheidendes politisches Organ ist seit der Eingemeindung der Stadtrat Pirmasens.
Am 16. Juni 1972 fand sich der Ortsbeirat unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Karl Rheinwalt zu seiner konstituierenden Sitzung im Pirmasenser Rathaus am Exerzierplatz zusammen. Armin Bähr wurde wurde erster Ortsvorsteher von Gersbach. Nach seinem Tod 1973 übernahm Karl Rheinwalt den Vorsitz im Ortsbeirat bis zur Kommunalwahl 1975.
Am 12. Dezember 1975 wurde schließlich Helmut Weber zum neuen Ortsvorsteher gewählt. Während seiner Amtszeit wurden die entscheidenden Schritte für den Bau der Mehrzweckhalle eingeleitet. Auf seine Initiative hin wurde die Fördergemeinschaft Mehrzweckhalle Gersbach gegründet, die in Zusammenarbeit und mit Unterstützung des Ortsbeirats in den folgenden Jahren federführend bei der Realisierung des „Jahrhundertbauwerks“ wirkte.
Helmut Weber kandidierte 1989 nicht mehr für das Amt des Ortsvorstehers. Walter Müller trat stattdessen am 19. Oktober 1989 an die Spitze der Ortsvertretung. Somit stellt die SPD seit der Eingemeindung ununterbrochen den Ortsvorsteher.
Der Ortsbeirat:
1972: SPD 7, CDU 2 Mandate
1975: SPD 7, CDU 2 Mandate
1979: SPD 6, CDU 3 Mandate
1984: SPD 6, CDU 3 Mandate
1989: SPD 7, CDU 2 Mandate
1994: SPD 4, CDU 3, Bündnis 90/Die Grünen 1, FWB 1 Mandate
Gersbach hat seit 1972 auch ständig Vertreter in den Stadtrat entsandt. Zur Zeit sind dies Arno Schmitt (SPD) und Karola Streppel (Bündnis 90/Die Grünen).
Der Ortsvorsteher, in seiner Funktion als Bindeglied zwischen Bürger und Verwaltung, hält regelmäßige Sprechstunden ab, bei denen die Einwohner Gelegenheit haben, Probleme oder Konflikte mit der städtischen Verwaltung vorzubringen. Es wird so versucht, ein Stück bürgernahe Verwaltung zu bewahren.
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